Der Tanz

Ein Tanz

Hast du schon einmal gesehen, wenn die Luft gefriert.

Nein, ich meine nicht stimmungsmäßig. Nicht die eisige Kühle die sich verbreitet, wenn Jakob angetrunken nach Hause kommt.

Nicht die Gänsehaut, die sich von der Ferse bis zum Haaransatz und darüber hinaus ausdehnt, wenn er sich an den Esstisch setzt, Unverständliches vor sich hinmurmelt und du darauf wartest, dass er mit seiner Faust auf den Tisch haut.

Nein, diese Situation meine ich nicht.

Ich meine, wenn sichtbar und fühlbar die Luftpartikel um dich herum als Eiskristalle tanzen.

Es war gegen fünf Uhr am Morgen. Das Außenthermometer zeigte minus vier Grad und ich zog die Handschuhe über.

Als ich aus dem Haus trat, flimmerte es Eisregen. Oder nein, nicht Regen flimmerte, sondern die Luft, die Luft war es.

Luftteilchen, aus was auch immer sie bestanden, stoben mir eisig um den Kopf, legten sich auf mein Gesicht, in meine Augen, meine Nase, überdeckten in Sekunden meine Jacke.

Kein Laut war zu hören.

Stille.

Wusstest du, dass Eiskristalle in der Stille fallen.

Oder in die Stille, wie man es nimmt.

Obwohl es in mir nicht still war.

In mir nicht.

Aber hier auf dem Weg, legte sich Stille fast jungfräulich über das Dorf und schließlich auch über mich.

Nicht einmal der panisch wachsame Hund von gegenüber erkannte seine Chance.

So stand ich, während um mich herum stille Eiskristalle tanzten und fühlte mich mit einem Mal herzzerreißend zuhause.

Für einen Moment glitt ich aus mir heraus in einen Zwischenraum.

Die Erleichterung, trotz des Geschreies in meinem Kopf, beschützt und geborgen zu sein, nicht durch irgendjemanden oder irgendetwas, sondern einfach, weil es so war, nahm mir den Atem.

Und ich erkannte zum ersten Mal, was jederzeit und in jedem Moment um mich herum los war.

Bewegung, Glanz, Tanz, Lebendigkeit, ja und Sterben. Denn immer dann, wenn die Luftkristalle mich berührten vergingen sie.

Aber war das wirklich Sterben?

Nein, natürlich nicht. Sie nahmen einfach eine andere Form an, wurden zu Wasser, Wasserdampf und morgen vielleicht, wenn sie wieder zu Eiskristallen gefroren, konnte das Tanzvergnügen von neuem beginnen.

Es dauerte eine Weile bis ich mich überwand, einige erste Schritte zu laufen. Schließlich wollte ich wie jeden Morgen meine Runde drehen. Hinauf auf den Berg und durch das hintere Tal zurück nach Hause. Wie jeden Morgen, oder fast jeden Morgen.

Heute allerdings tapste ich wie ein kleines Kind, setzte vorsichtig einen Schritt vor den anderen, als könne ich fallen oder etwas umstoßen in meiner Verwunderung.

Ich zögerte, wollte die Zeit anhalten, dieses Wunder in die Länge ziehen, so lange eben möglich.

Mein Kopf kam mir dazwischen. In dem Moment, als er begann, Gedanken zu formulieren, war das Wunder vorbei.

Nur ein paar Schritte und ein Blick auf die Uhr, und die Luft um mich herum zeigte sich von ihrer kalten Unsichtbarkeit.

Vorbei.

Schade.

Dabei, so dachte ich, als ich mich im Denken wiederfand, hatte mir die Luft nur eine ihrer Seiten gezeigt, eine unglaublich schöne Seite. Aber verändert hatte sie sich dadurch nicht.

In einem Moment der Stille war sie sichtbar geworden, als wolle sie sich mir offenbaren.

Offenbaren, was für ein Wort.

In meiner Erinnerung gab es für mich jedoch nur dieses. Nichts anderes käme meinem Zustand gleich.

Nach einigen wenigen Metern, die ich vorwärtslief, bemerkte ich eine intensivere Art wahrzunehmen.

Als dränge sich mir die Natur, die Welt um mich herum, klarer und magischer auf.

Auch wenn du den Kopf schüttelst, aber es schien mir, als wolle sie sich mir mitteilen. Als habe sie mir etwas zu sagen.

Schau, ich bin deine Welt, die Luft, die dich umgibt, dich immer umgibt. Sieh mir für einen Moment beim Tanzen zu. Mein Tanz ist in jeder Sekunde anders.

Die Welt, die du so gleichgültig übersiehst, wird im nächsten Moment nicht mehr die sein, die du jetzt erkennen darfst.

Auf meinem Weg den Berg hinauf und zurück durch das Tal, offenbarte sich mir diese Botschaft.

Das Leben ist ein Tanz.

Nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein Tanz. Ein Tanz, der getanzt werden will, oder getanzt werden muss.

Je nachdem, welche Melodie du hörst in der Stille deiner Begegnungen.

Das schwarze Blau der Morgendämmerung tankte Licht. Die schattigen Silhouetten der Bäume und Häuser manifestierten sich zu klaren Bildern. Motorengeräusch von ferne, und Wind kam auf.

Niemand begegnete mir auf meinem Weg. Das war meine Absicht, so lange schon. Deshalb lief ich früh am Morgen los. Niemand sollte mir begegnen. Niemand.

Heute jedoch, heute begegnete mir die Begegnung,

und

wollte endlich erkannt werden.

Du hörst deine Melodie nur in der Begegnung,

in der wahren Begegnung.

In dem Augenblick, in dem du erkennst, wer oder was dir begegnet.

Indem du das Leben erkennst.

Indem du dich selbst darin erkennst.

Das meinte „der kleine Prinz“ mit seiner Wahrheit:

„man siehst nur mit dem Herzen gut.“

Begegnung gelingt nur mit dem Herzen,

nur mit dem Herzen begegnest du wirklich.

Den Menschen

der Natur

dem Leben

den Schneeflocken und

dir selbst.