EINSSEIN

EINSSEIN

Es war ein Donnerstag, als am späten Vormittag, kurz bevor das Taxi von Taxi Röder sich auf den Weg zum Krankenhaus machte, um Frau Niedermann zur Dialyse zu bringen, dieses Licht aufblitzte. Im ersten Moment dachte ich, ein Gewitter bahne sich an mit einem Blitz, der allerdings nicht wie ein Blitz, eher wie ja, ich weiß es nicht anders zu sagen, wie eine Melodie daherkam. Mir rutschte die Kaffeetasse aus der Hand, und mein Handy klingelte. Hast du dieses Licht soeben…meine Schwester wohnt in München, dreihundert Kilometer weit entfernt und auch dort also, das Licht. Wir warteten beide auf das, was folgen würde, auf das Licht folgen würde, aber erst einmal folgte nichts, jedenfalls nichts für uns Erkennbares.
Ein Irrtum.
Ein Irrtum, der uns einige Stunden in unsere träge Beschaulichkeit einlullte. Eine Gnadenfrist. Eine kurze Schonfrist zum Luftholen. Einige wenige Stunden bis zum Handstandüberschlag unserer Zeit.
Bereits gegen Abend veränderten sich die Farben. Einige Stunden später drang ein penetranter Modergeruch durch alle Häuser und Straßen. Offenbar war irgendwo eine Bombe explodiert oder eine Fabrik, Chemie vielleicht.
Es war unerträglich.
Wir stellten fest, dass kein Kommunikationsnetz mehr funktionierte.
Nichts geschah.
Gegen Mitternacht trafen sich hunderte von Menschen auf dem Marktplatz, um gegen die Unfähigkeit der Regierung zu demonstrieren.
Ich schlich zurück in meine Wohnung.
Da war so eine Unruhe in mir. Nicht wirklich eine unruhige Unruhe, eher eine unruhige Ruhe, wenn ihr versteht, was ich meine.
Ich wusste etwas, aber ich wusste nicht was und so stand ich am Fenster und schaute in die Nacht.
In diesem Moment zitterte der Boden unter meinen Füßen.
Mutter Erde räkelt sich, schoss es mir durch den Kopf. Was für ein merkwürdiger Gedanke. Doch dabei blieb es nicht.
Etwas dehnte und streckte sich in mir und plötzlich war das Licht, dieses blitzende Licht, in meinem Bauch, in meinen Knochen, in meinem Kopf, und eine Stimme, meine Stimme, schlug mir ins Gesicht und schreckte mich auf.
„Auch du bist die Erde, auch du bist ICH. Wie oben so unten, wie innen so außen. Niemand von euch kann behaupten, er hätte es nicht gewusst. Es ist wie mit der Liebe. Auch sie wird von euch sträflich unterschätzt. Auch sie ist eure Natur, die Energie, die euch am Leben hält.
Genug ist genug.“
Das Licht durchdrang meine Augen, blendete mich, zerrte mich durch die Dunkelheit der Zeit. Irgendwann wurde es ruhig, Stillstand.
Wie in Zeitlupe umhüllte mich ein blauer Nebel und ich starrte mit einem Mal in das Auge der Erde, das mich in tieftrauriger Enttäuschung auf den Boden nagelte. Aber nicht das war es, was meine Seele aufriss, sondern die gleichzeitig unendliche, mütterliche Liebe ihres Blickes.

Als der Morgen dämmerte erwachte ich fröstelnd auf dem kalten Boden meiner Küche. Mir war, als stände ich innerlich in Flammen, das Atmen fiel mir schwer. Benommen torkelte ich hinaus auf die Straße. Um mich herum fielen sich Menschen in die Arme. Alle torkelten, wankten, hielten sich aneinander fest.
Jeder von uns hatte in dieser Nacht erfahren, wie es ist, wenn Mutter Erde sich räkelt.
Jedem saß die Scham ihrer tiefen Enttäuschung in den Knochen.
Und jeder spürte seit diesem Ereignis ihren Puls, den Puls von Mutter Erde und erkannte das EINSSEIN.